Klartext – Liebe Enise, wie genau würdest Du Dein berufliches Neuland beschreiben?
Bis Herbst 2017 bin ich eine recht typische Karriere für eine Kardiologin gegangen. Die klassischen Hindernisse und Hürden, die ambitionierten Frauen in der Medizin allerdings in den Weg gelegt werden, markierten genau zu diesem Zeitpunkt einen Neubeginn. Damals war mir allerdings nicht bewusst, dass ich zwei Jahre später ein Med-Tech Unternehmen aufbauen
werden würde. Ich bin seit April 2004 Ärztin. Während meiner langjährigen internistischen und kardiologischen Tätigkeit fokussierte ich mich zunehmend auf die Behandlung von Herzrhythmusstörungen und Herzinsuffizienz.
Die letzten 6 Jahre spezialisierte ich mich auf die Behandlung von Herzrhythmusstörungen mittels Katheterablation, insbesondere auf die
Behandlung von Vorhofflimmern mittels Pulmonalvenenisolation.
Von Beginn meiner Karriere an entwickelte ich ein enormes Bedürfnis Herz-Patienten, insbesondere die mit einer chronischen Herzinsuffizienz, optimal zu behandeln und nachzusorgen. Das fing bereits mit der langjährigen Bahnung eines überregionalen Herzzentrums an, die federführend mein Mann
koordinierte, der ebenfalls Kardiologe ist. Für viele, vor allem jüngere Kolleginnen bin ich ein Vorbild, weil ich Kinder und Karriere als Selbstverständlichkeit lebe und trotz aller Hürden und
Hindernissen diesem Ideal treu geblieben bin.
Im Herbst 2017 habe ich dann eine harte Entscheidung treffen müssen, die mich schließlich in mein berufliches Neuland katapultiert hat:
Die erste, sehr schmerzhafte Entscheidung war, die invasive Tätigkeit nach Jahren aufzugeben. Diese Entscheidung hat mich wahnsinnig viel
Mut gekostet, da die invasive Elektrophysiologie für mich meine absolute Passion war. Es fühlte sich schrecklich an! Ich fühlte mich mehr als Versagerin denn als Gewinnerin und Überlegene.
Die zweite große Entscheidung war, das Angebot eine ambulante kardiologische Rehabilitation in Trier zu etablieren anzunehmen. Es war großartig trotz großer Schwierigkeiten eine sehr gut funktionierende Einheit aufzubauen. Die Patienten wurden immer mehr, vor allem durch
Hören-Sagen ehemaliger Kardio-Patienten.
Bis eines Tages einer meiner chronisch kranken Patienten an mich appellierte, warum es keine hilfreichen Apps für Herzpatienten gibt, wo doch
alle Welt von Digitalisierung spricht und ob ich nicht vielleicht eine App „machen“ möchte?!
Plötzlich lag es klar auf der Hand: ich wollte diese „App“ machen!
Diesen letzten Schritt in mein Neuland bin ich mit der Kündigung meiner unbefristeten Chefarztstelle in der ambulanten kardiologischen Rehabilitation im Sommer 2019 gegangen.
Motivation – Was treibt Dich an?
Die Not meiner Herz-Patienten, aufgrund eklatanter Versorgungslücken nicht optimal versorgt zu werden, und Ihr Vertrauen in mich ist für mich die größte Motivation.
Überwindung – Wovor hattest Du Angst? Bzw. Was hat Dich anfänglich zurückgehalten, Deine Idee zu realisieren?
Die Vorstellung zu scheitern, zu versagen und Häme ausgesetzt zu sein, ist recht präsent. Noch schlimmer fand ich jedoch den Gedanken, nichts zu wagen und mich selbst zu verlieren, weil ich den Mut nicht aufbringe meine Idee zu realisieren.
Die beste Idee ist aber keine gute Idee, solange niemand davon erfährt! Ich musste es wagen und alles auf eine Karte setzen.
Unterstützer – Wer oder was hat Dir geholfen, Dein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren?
Die wichtigste Unterstützung kommt von meinem Mann. Er fand die Idee von Anfang an sehr gut. Als das erste Mal die Worte Kündigung und Gründung fielen, war mein Mann zunächst besorgt und skeptisch, weil ich keine unternehmerische Erfahrung habe und sozusagen mit Mitte Vierzig beruflich einen kompletten Neustart wage.
Da wir aber schon sehr lange ein extrem gutes Team sind und wir uns gegenseitig unterstützen und vertrauen, in dem was wir
tun, sind wir auch gegenseitig unsere größte Unterstützung! FUN FACT: wir heißen in unserem engsten Freundeskreis seit 2005: Die FIRMA :-)
Stolpersteine – Welches Talent hat Dir über schwierige Phasen hinweg geholfen? Und was hast Du daraus gelernt?
Zu gründen ist ein bisschen wie Achterbahn fahren, es geht rauf und runter. Es gibt Tage, da werden plötzlich alle Vorbereitungen und Zeitvorgaben torpediert, das Vorhaben wird brutal in Frage gestellt. Die emotionale Palette ist dementsprechend bunt, von freudig erregt bis zu tiefer Verzweiflung ist alles dabei und manchmal alles an einem Tag.
Wenn es mir zu bunt wird, schaue ich zurück und sehe, was ich bereits geleistet habe. Mit Zuversicht geht es weiter, getragen von dem Gedanken, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen. Es ist vor allem meine Beharrlichkeit, die mir hilft, Durststrecken der Unsicherheiten auszuhalten.
Erfolg – Was war der schönste Moment?
Die Meilensteine bei der Entwicklung von HERZ-HELD. So eine Softwareentwicklung hat schon etwas Magisches, vor allem wenn man das Glück hat, es selbst entwickeln zu dürfen. Der bisher schönste Moment war, als der Startschuss fiel, endlich LEMOA medical – unsere kleine
„Softwaremanufaktur“ für digitale Gesundheitsanwendungen zu gründen.
Es hatte etwas Surreales, mitten in der Pandemie an einem Freitag spätnachmittags mit unseren beiden Kindern Ende März beim Notar in Wiesbaden zu sitzen.
Neuorientierung – Welche drei Tipps gibst Du Gleichgesinnten (Gründerinnen) mit auf den Weg?
Mut, Ausdauer und Vertrauen in sich selbst und in die Idee.
Ressourcen – Was ist Dein Lebensmotto?
Value & Purpose
Zukunftspläne – Was ist Dein nächstes Projekt als Gründerin?
Projektideen gibt es viele. Ich muss mich ein wenig bremsen und mich zunächst einmal fokussieren.
Für HERZ-HELD wünsche ich mir den Durchbruch, das wäre die Aufnahme in das DiGA Verzeichnis (das Verzeichnis für erstattungsfähige „Digitale Gesundheitsanwendungen“).
Ich wünsche mir eine gute Gesundheit für uns alle – weltweit. Die Pandemie zeigt erneut wie wichtig Bildung und Prävention sind. Leider ist Prävention weder billig noch sexy. Wir erleben gerade weltweit, welche immensen Schäden bei weiterer Vernachlässigung in diesen Bereichen
drohen.
Inspiration – Wer oder was hat Dich inspiriert (Andere Gründer/innen, Bücher, etc.)?
Seit jeher inspirieren mich Menschen, insbesondere Forscher*innen und
Wissenschaftler*innen, die mit ihren Forschungen und Entdeckungen das Leben der Menschen trotz vieler Hürden und schwierigen Umstände nachhaltig verbessert haben.
Freizeit – Wo trifft man Dich?
Mich trifft man in meiner Freizeit bei meiner Familie, egal ob beim Wandern, Klettern, SUP oder beim Skifahren. Wenn mein Mann keine Wochenenddienste hat, treffen wir uns am liebsten mit unserem engsten Freundeskreis, unserem seit Jahrzehnten bestehendem ‚Inner Circle‘.
Diese Treffen mit diesen wunderbaren Menschen sind echte Glücksmomente.
Liebe Enise,
wie toll, dass wir Deinen Werdegang in dieser Kurzversion miterleben durften: Und so spannend zu sehen, wie Du in zwei ausgesprochenen Männer-Domänen mit Power, Biss und Ehrgeiz Deine Ziele verfolgst!
Ich freue mich, die weitere Entwicklung von HERZ HELD ganz nah zu verfolgen und wünsche Dir weiterhin so viel Energie und Durchsetzungsvermögen – Du bist nicht nur für mich ein leuchtendes und unerschrockenes Beispiel dafür, welche Chancen und Möglichkeiten uns heute offen stehen!
Herzliche Grüße,
Susanne